Judith Raum im Gespräch mit Rike Frank
(Das folgende Gespräch wurde im Mai 2017 für den Katalog der ifa-Tourneeausstellung The Event of a Thread – Global Narrations in the Medium Textile mit erster Station im Kunsthaus Dresden 02.09.2017-28.01.2018 geführt.)
RF: Im Verlauf der letzten Jahre sind Serien von Arbeiten entstanden, die in einem engen Dialog zu Textilien, ihrer Geschichte und Machart stehen. Textilien kommen als bearbeitetes Material zum Einsatz; wie beispielsweise die Stoffbahnen in der Installation Disponible Teile (2012), mittels derer Du Deine Recherchen zu Textilien in Malerei überträgst. Bedeutsam für den Prozess erscheint die kontinuierliche Bewegung zwischen Theorie und Praxis, in dem sich Deine Bezüge zu Philosophie und Malerei gleichermaßen abbilden. Mich interessiert Dein Zugang zu Textilien?
JR: Wichtig ist zunächst, dass ich mich dem Textilen aus Erfahrungen, die ich in der Malerei gemacht habe, nähere. Vor einigen Jahren hatte ich eine Krise mit der Malerei, ich wollte keine Objekte mehr herstellen, die etwas von meisterhafter Ausführung und Exklusivität ausstrahlen und die an die Wand gehängt und mit Abstand betrachtet werden. Was mich dagegen interessiert in der Malerei: wenn ihre Bestandteile, also die Art, wie die Farbe aufgetragen ist und das, was dargestellt wird, sich selbst in Frage stellen und damit ihre eigene Verfasstheit mit verhandeln. Ich dachte über Objekte nach, die in ihrem Objektsein noch etwas von einer Situation an sich haben. In denen der scheinbare Gegensatz zwischen lebender und toter Materie aufgehoben ist. Dinge, die im Hinblick auf ihren Herstellungsprozess durchlässig bleiben: fest, aber für die Wahrnehmung nach wie vor durchdringbar, vielleicht, weil ihre Schichten und Teile nicht ganz oder nur lose miteinander verbunden sind. Diese Aspekte – unter anderen – fand ich im Textilen.
RF: Ich habe die Malereien das erste Mal in der Lecture Performance harmless entrepreneurs (2012) gesehen, während derer Du eine räumliche Konstruktion aus Stoffbahnen und Metallstäben entstehen lässt. Die von dir angesprochene Durchlässigkeit zugunsten von Produktionsspuren ist insofern – ebenso wie dein Zugang zu Textilien – nicht an das Medium gebunden und findet sich gleichermaßen in den Installationen und Lecture Performances?
JR: Genau, hier gilt dasselbe wie für die Bestandteile im einzelnen. Die Stoffbahnen und die Installationen tragen noch diese Spuren des Gemacht-Werdens. Es ist mir wichtig, dass sich die Arbeiten im Moment des Betrachtens neu zusammen setzen, dass die BetrachterInnen aktiven Anteil an der Konstruktion von Sinn haben.
Aber du hast gefragt, wie das Textile für meine künstlerische Praxis produktiv wurde. Mich hat das Prozessuale beschäftigt, und ich fand, dass es sich im Textilen ausdrückt. Einerseits durch den Vorgang des Webens, der an sich schon Sinnbild für das Fließende, das in Bewegung bleibende ist. Dann in der Verfasstheit der Stoffe an sich: ein Gewebe ist von Verkreuzungen und Verknotungen geprägt, die Fäden gehen unterschiedlichste Verschlingungen ein. Sie weichen dauernd vom geraden Weg ab. Das allein ist ein lebendiges Prinzip, oder, wie Michel Serres es auffasst, ein Modell für Bewußstein.
Dann gibt es für mein Verständnis noch etwas, das das thematische Feld des Textilen und die Sozialgeschichte des Webens umgibt: die Frage nach einem nicht-instrumentellen Verhältnis zu den Dingen und den Umgang mit ihnen. Wie stark greife ich ein und oktroyiere den Dingen meinen Willen auf? Kontrolliere ich Prozesse, oder wie offen bin ich dafür, etwas zuzulassen? Berühre nur ich oder lasse auch ich mich berühren?
RF: Es sind diese Fragen, die auch die zweite Arbeit, machine subjectivity, strukturieren. Die Videoarbeit setzt sich aus Aufnahmen von Webstühlen zusammen – kombiniert mit einigen wenigen historischen Dokumenten. Die Bilder von Handwebstühlen, mechanischen und computergesteuerten Jacquardwebstühlen demonstrieren Arbeitsprozesse. Indem sie den Fokus auf jene Details legen, die Eingriffe an den Maschinen, kleine Reparaturen, Improvisationen, Behelfslösungen und Spuren der Interaktion von Mensch-Maschine-Stoff zeigen, verstärken sie das Poetische der Fäden ebenso wie die Physis des Maschinischen, die Berührungen im Handwerklichen ebenso wie der darin eingebetteten Arbeitskämpfe. Das Video ist eine Montage aus Standbildern, das jene Momente des Lebendig-Werdens von Maschinen, wie Bewegung, Rhythmus und insbesondere den Lärm, die Geräuschkulisse der Webstühle, ausblendet. Hinzu tritt stattdessen eine andere Umgebung: über die Ich-Erzählung und den Dialog aus dem Off sowie die eingeblendeten Textpassagen entstehen neue Kontaktzonen zwischen Maschine, Subjektivität, Geschichte, Tun ...
JR: Die Verfasstheit der Webmaschinen hat mich beeindruckt, als ich zum ersten Mal das Textilmuseum in Helmbrecht betreten habe und dort über die Geschichte der Hausweber in Oberfranken erfahren habe. Ihre noch erhaltenen Webstühle stecken voller Spuren des Kontakts der Menschen mit der Maschine. Auf sinnlich-taktile Weise werden also zwei Dinge ablesbar: die Kenntnis, die die Weber von ihrer Maschine hatten, und ihre Erfindungsgabe, die sich in kleinen Improvisationen äußert Wenn zum Beispiel eine Arretierung oder Spannung verändert werden musste, wenn etwas zu reparieren war – das wurde dann mit kleinen Resten gemacht, die gerade zur Hand waren: Abfälle von buntem Garn, Karton... Diese Handgriffe bleiben für uns lesbar, öffnen die Maschine auf uns hin. Und sie zeigen die Selbstermächtigung der Arbeitenden, in eine bestehende Struktur einzugreifen. Das ist ein wichtiges und ermutigendes Moment. Es hängt eng mit den soziohistorischen Umständen zusammen, unter denen die Hausweber lebten. In dieser Region waren sie nicht berufsständisch oder politisch organisiert und so heißt es immer, sie seien passiv gewesen. In Wirklichkeit spürt man aber eine Form von Unternehmertum, wenn auch prekär, das sich aus Momenten der Improvisation speist, aus einer aufmerksamen und spontanen, auch behutsamen Interaktion mit der Maschine. Interessant ist es, das mit Ordnungen anderer Art zu vergleichen: mit politischen, institutionellen, ökonomischen Ordnungen, oder mit Formen von Unternehmertum, in denen Improvisation keine Rolle spielt. In denen ein Umgang mit Dingen aus einer Position der Macht heraus im Vordergrund steht.
Um deine Frage nach den Kontaktzonen aufzugreifen: für mich schafft die ‚Lesbarkeit’ der Maschine eine Form der Berührung, durch die wir in Kommunikation (mit der Geschichte) eintreten können. Ich habe mich außerdem entschieden, die Begegnung mit den Hauswebern aus der Ich-Perspektive zu erzählen, weil ich es wichtig finde, Geschichte so darzustellen, dass sich ihre Körperhaftigkeit und Angreifbarkeit kommuniziert. Geschichte ist zunächst immer menschengemacht. Wir können alle daran teilhaben, Dazu kommen die Dialoge im Video. Wenn man zwei Stimmen bei einer Unterhaltung zuhört, wird deutlich, das Dinge verhandelbar sind und es bleiben.
RF: Wir haben in machine subjectivity drei Perspektiven, die Ich-Erzählung, die historische Einbettung und den Dialog zwischen zwei Personen, letzterer ist vielleicht der philosophischste Aspekt der Arbeit, in dem es genau um die Fragen von maschinischer Subjektivität geht. Hier wird ganz deutlich die Spannung zwischen Automatisierung und Eingriff, dem eine Ermächtigung zu Grunde liegt, angesprochen, und das Potenzial dieser Verbindung. Diese Spannung ist auch ein Aspekt, der in der Machart der Stoffbahnen wieder auftaucht. In der Kunst gibt es seit der Antike den Begriff der Lebendigkeitsstrategien. Wie Ästhetik, beispielsweise Farbauftrag, als Instrumentarium von Künstler und Künstlerinnen eingesetzt wird, um eine Animation der toten Materie zu bewirken. Aus dieser Perspektive interessiert mich doch noch mal die Machart der Stoffbahnen.
JR: Die Stoffbahnen sind vergrößerte Interpretationen von Stoffmustern aus den Musterbüchern der Helmbrechtser Hausweber, die ich auf dem Dachboden des Museums gefunden habe. Meine Hoffnung war, in diesen Büchern Existenzspuren von den Hauswebern zu finden – Aufzeichnungen darüber etwa, wie fremde Techniken in das eigene Know-how integriert wurden. Die Helmbrechtser Weber haben ja für einen internationalen Markt Tücher gewebt, Ponchos, Saris und orientalische Gürteltücher. Das waren ethnologisch gesehen für sie ganz fremde Muster. In den Musterbücher fand ich aber keine Aufzeichnungen. Es gab wirklich "nur" diese Stoffproben.
Die bemalten Baumwollbahnen sind also einerseits Vergrößerungen einzelner Stoffmuster und bestimmter Effekte, die ich in ihnen bemerkenswert fand. Auch der Aspekt der Meterware, die diese Tücher ja letztlich waren, kommt vor, indem sich bestimmte Muster-Rapporte wiederholen. Vor allem werden meine Stoffbahnen aber zu Oberflächen, die man lesen kann, zu Trägern von Spuren. Als ob sich die Existenzen der Weber doch in diese Stoffoberflächen eingeschrieben hätte:. Flecken und Schmutz aus dem täglichen Arbeitsprozess, Einschreibungen, Falten: das, was mir in Wirklichkeit von ihnen fehlt. Um die Erfindung solcher Existenzspuren ging es im malerischen Prozess.
Während des Bearbeitens liegen die Stoffe auf dem Boden. Ich erzeuge unterschiedliche Bedingungen für den Kontakt der Farbe mit dem Stoff, befeuchte das Gewebe partiell, drucke Farbe von flachen Trägern auf, sodass Zufallsgebilde entstehen, knete den Stoff unter fließendem Wasser durch oder reibe Partien gegeneinander, bevor ich erneut eine Schicht aufbringe. Das produziert malerische Aufladungen des Gewebes, die zwischen Zufall und Kontrolle oszillieren. Der Prozess der Anreicherung der Schichten bleibt beim Betrachten nachvollziehbar.
RF: RF: Als wir dich 2012 zu Textiles: Open Letter einluden, wurde sofort ein gemeinsames Interesse deutlich. Es bestand darin, Textilien nicht nur medienspezifisch über ihre Machart oder die ihnen eingeschriebenen Techniken zu begegnen, sondern sie sowohl als visuelle Sprache wie auch als Markierungen zu verstehen, an die eine Reihe von Ein- und Ausschlussmechanismen gebunden sind, wie beispielsweise die, von Regine Prange argumentierte, Dominanz des Optischen. Dieser hast du ja als Teil deiner „Krise“ mit der Malerei ganz bewusst etwas entgegen gesetzt. Ich hab irgendwann begonnen, von textilities zu sprechen, um den haptischen Beziehungsreichtum des Textilen aufzugreifen und um einen Begriff zu finden, der ebenfalls zwischen Funktionalem und Ästhetischem, Kultur und Kunst, Autonomie und einer Bezüglichkeit sitzt. Wie reagierst du in Deinen Arbeiten auf diese Verhandlungsräume?
JR: Dieser Beziehungsreichtum ist seit dem Moment, in dem Arbeiten wie Disponible Teile oder machine subjectivity entstanden sind, tatsächlich paradigmatisch in meiner Praxis geworden. Ich versuche nicht nur innerhalb des Mediums und mit dem, was darin visuell-optisch erlebbar wird zu operieren, sondern darüber hinaus die malerischen Arbeiten anzureichern mit einem erweiterten Reflektionsfeld, in dem es um politische oder wirtschaftshistorische Zusammenhänge geht. Dafür verwende ich eigene Texte, Fotos aus Archiven oder historische Dokumente – Briefe, Berichte, Listen – die ich von Schauspieler_innen einsprechen lasse und in der Installation neben den Malereien abspiele. Aber auch wenn die sinnlichen Objekte in engem Zusammenhang mit den Rechercheinhalten stehen, reklamiere ich für sie eine Autonomie. Sie gehen nicht im Deskriptiven, Beschreibenden auf. Was einen Bogen schafft zu der Unterscheidung zwischen einem instrumentellen und einem nicht-instrumentellen Umgang mit den Dingen, von dem ich vorhin sprach. Das ist mir wichtig.
Rike Frank ist Kuratorin und unterrichtet derzeit als Associated Professor Ausstellungsgeschichte, -theorie und praxis an der Oslo National Academy of the Arts. Sie kuratierte u.a. Textilities …and Roses Too (Fondazione Antonio Ratti, 2015) und ko-kuratierte das Ausstellungs- und Rechercheprojekt Textiles: Open Letter (2012-2014).