In Judith Raums Kunst gibt es immer ein Daneben. Neben der Herstellung und Ausstellung von farbig bemalten Stoffbahnen zum Beispiel, die beim Vorbeigehen changieren wie vielleicht nur die Farben von Redon oder die Maschen von Missoni, gibt es einen analytischen und begrifflichen Diskurs, der mit Dokumenten bestückt ist und ein historisch-ökonomisches Wissen erschließt, durch das er getragen wird. Neben senkrecht fallenden Textilien, die sich am Boden falten, den Raum teilen und eine gewisse Schwere nahelegen, neben der waagrechten Ausbreitung leichter, beschädigter Objekte auf niedriger Höhe und der wolkenartigen Wölbung hängender Fäden oder Schnüre, die sich zu Plastiken verweben, gibt es Photographien aus Archiven mit begleitendem Textmaterial, die an weißen Wänden festgemacht worden sind, auf Blechflächen, die mit Papier überzogen wurden. Neben den prekären seidenen Verknotungen von Stäben, Stielen oder Rohren, an deren sprödes, aufgesplittertes Ende silbernes Zigarettenpapier angebracht ist, das sie verlängert, neben der kunstvoll zufälligen Anordnung von Gegenständen, die die Künstlerin während ihrer Spaziergänge aufgelesen und dann bearbeitet hat, von Federn, die mit Aquarellfarbe bemalt oder in die Höhlung von Knochen gelegt worden sind, gibt es eine lecture performance für mehrere Stimmen, bei der sich die Anführung von Fakten mit subjektiven Reiseeindrücken mischt. Gelegentlich könnte man meinen, das Daneben sei nicht bloß das gewöhnliche räumlicher Aneinanderfügung, sondern ein Grenzfall der Ineinanderfügung. Betrachtet man nämlich einen Ausschnitt der blauen Landkarte, die die Trasse der von deutschen Ingenieuren angelegten anatolischen Bahnlinie nachzeichnet, wirkt sie durch ihre Fehlstellen beinahe wie ein Formenspiel auf einem der großen Baumwolltücher.
Der Begriff ergreift die Sache, greift mit Bestimmtheit zu, um die Sache der Idealität ihrer Bestimmung zuzuführen, um diese Idealität als das Wesen der Sache darzustellen. Die Kunst hingegen greift daneben. Der Begriff darf letztlich nicht auf die Entscheidung verzichten, ob etwas dieses oder jenes, ja ob es überhaupt bestimmbar sei. Die Kunst, die daneben greift, hat es nicht mehr mit Entscheidungen zu tun, die auf Bestimmbarkeit zielen, so sehr der Künstler immer wieder entscheiden muß, was er tut und was er unterläßt, was er für sein Tun verwendet und was er verwirft.
Indem sie also den Begriff einbezieht, setzt Judith Raum ihn einem Daneben aus, über das er nicht verfügen kann. Was bedeutet das? (...)
Der vollständige Text erscheint in der Publikation
Judith Raum: eser
archive books Berlin, 2014